Mein Name ist Sam, und ich war verdammt einsam!
Wie so oft saß ich vor meinem lärmenden Computer. Ja, mein Rechner war nicht mehr der allerneueste, aber er reichte aus, um ins Internet zu gelangen, damit ich mit Leuten chatten konnte. Ich öffnete eine Dating-Seite und hoffte auf ein Geräusch. Ein Geräusch, das mir mitteilte, dass ich eine Nachricht von jemandem bekommen hatte. Eine Message, die zur Abwechslung mal nicht von einem alten Mann oder einem sexgeilen Typen stammte. Seit sechs Jahren war ich nun schon Teil dieser Netzgemeinschaft, doch die große Liebe hatte ich bisher nicht gefunden. Um ehrlich zu sein, glaubte ich manchmal schon gar nicht mehr, dass es den Einen wirklich gab. Liebe schien nur in Filmen zu existieren, nicht aber in der Realität.
Andere unglückliche Menschen versuchten mir oft einzureden, dass ich doch so viele Chancen hätte. Ich würde diese einfach nur nicht wahrnehmen. Sie sagten mir, ich sei zu wählerisch, doch dem war nicht so. Wenn dieses gewisse Extra einfach nicht vorhanden war, dann konnte er noch so nett sein. Keine Liebe ohne Schmetterlinge im Bauch und kein Sex ohne Gefühle – ich lebte mittlerweile wie eine Nonne. Wenn man nichts empfindet, dann kann sich der Gegenüber meinetwegen verliebt haben. Dies hat nichts mit Arroganz oder sonst etwas Negativem zu tun, sondern einfach nur mit Gefühlen. Wenn man keine Gefühle für jemanden hat, dann hat man eben keine. Dumme Sprüche hin oder her. Liebe kann man nicht erzwingen, und da konnten mir tausend Leute sagen, dass ich zu wählerisch wäre – was ich übrigens wirklich nicht war.
Ich erinnerte mich daran, wie ich mich einmal in einen Verkäufer verknallt hatte. Ich hatte ihn nur von der Seite gesehen, und sofort war es um mich geschehen gewesen. Fette Fledermäuse, oder wie der Volksmund es nennt: Schmetterlinge, schienen damals durch meinen Bauch zu flattern. Mir wurde leicht übel – im positiven Sinne – und es fühlte sich so an, als ob sich mein Herz durch meine Ohren quetschen wollte. Viele Pickel und Narben schmückten sein Gesicht, doch das war mir egal. Er hatte einfach dieses gewisse Etwas. Mehrmals täglich ging ich einkaufen, nur, um ihn sehen zu können. Dachte an nichts anderes mehr, außer an: Was kann ich noch einkaufen? Soße? Brot? Eine Milchschnitte? Natürlich stellte sich irgendwann heraus, dass der Herr eine blöde Hete war. Tja, dumm gelaufen, aber so war es ja bei mir immer. Egal, in wen ich mich auch verliebte: Alle waren heterosexuell. Wahrscheinlich war ich verflucht. Lustig war hingegen, dass Frauen jeden Alters auf mich abfuhren. Egal, ob jung, alt, schön oder hässlich – wobei Schönheit immer noch im Auge des Betrachters liegt. Das Ufer wechselte ich dennoch nicht. Allein der Gedanke an weibliche Brüste oder Muschis machte mich ganz wirr im Kopf – und das im negativen Sinne. Ich wollte einfach nur einen Menschen, dem ich vertrauen konnte. Jemanden, dem es egal war, wie ich nach dem Aufstehen aussah. Eine Person, die für mich da war, sich um mich kümmerte und Verständnis zeigte. Kein notorischer Fremdgänger, sondern ein Zuhörer, Versteher, liebevoll, zärtlich, romantisch und auch ein wenig versaut im Bett.
Geweckt werden mit zärtlichen Worten am Morgen, stundenlanges Knuddeln und Körpersäfte, die durch jede Ritze fließen. So lange aufeinander liegen, bis man automatisch durch den Körperschweiß des anderen hin und her rutscht. Beine und Arme, die sich umwickeln wie Schlangen. Ja, das war mein Traum. Ein wunderschöner Traum, der sich in einem noch wunderschöneren Traum befand. Ein Traum, den ich schon hatte, solange ich denken konnte, und das konnte ich, seitdem ich sechs Jahre alt war – an die Zeit davor konnte ich mich einfach nicht erinnern.
Man sagt ja immer, dass die Hoffnung zuletzt stirbt, doch nach all den Jahren bereitete ich mich schon auf ein einsames Leben vor. Hatte ja noch mein Kopfkissen, das mich gern hatte. Scheiße, peinlich und traurig zugleich. Ich war ein Mensch, der über vieles lange und sehr häufig nachdachte. Besonders über die Vergangenheit und mich selbst. Ängste bestimmten mein Leben, wie bei anderen das tägliche Brot. Verlustängste, die nicht unbegründet waren, denn bis auf ein paar Freunde in Übersee hatte ich niemanden mehr. Früh lernte ich, dass Menschen immer fortgehen werden. Egal, wie gut man befreundet war oder wie sehr man aneinander hing. Manchmal fragte ich mich, ob ich vielleicht der Grund war, dass Menschen sich immer von mir entfernten. Dabei war ich eigentlich ein ganz Netter. Ja, kann jeder behaupten, aber ich tat niemandem etwas. Einmal, da hatte ich einen unschuldigen Marienkäfer brutal ermordet – mit dem Wischmopp – und hatte stundenlang ein schlechtes Gewissen.
Eigentlich ist die Antwort, warum ich alleine bin, ganz einfach: Ich bin schwul.
Natürlich sagten immer alle, dass sie kein Problem mit Schwulen hätten, aber sobald man ihnen den Rücken zukehrte, fingen sie an, zu lästern. Manchmal fragte ich mich, ob nicht vielleicht die Heterosexuellen die Kranken und Perversen waren, wie sie mich so oft betitelten. Ich konnte zumindest mit Stolz sagen, dass ich Kleider und Stöckelschuhe nicht toll fand. Ich war ein schwuler Mann, und als solcher wollte ich auch einen Kerl an meiner Seite und kein Weib.
Anderen gegenüber war ich meist verschlossen, doch manchmal, da platzte mir einfach der Kragen. Es kam dann einfach aus mir heraus, wie Wortkotze. Meinen Frust ließ ich dann an jedem ab, der mir auch nur in irgendeiner Art und Weise blöde kam. Da reichte auch schon mal nur ein Blick, und ich explodierte. Mein wahres Ich, das Liebe und Nette, kannte so gut wie niemand. Zu oft war ich verarscht und hintergangen worden. Irgendwann verschließt man sich einfach. Es läuft von ganz allein, und damit meine ich nicht, dass ich inkontinent war. Aber angenommen, ich bräuchte Windeln, weil mein Schließmuskel sich vom vielen Fisten nicht mehr zusammenzieht, könnte ich sie mir als Arbeitsloser überhaupt leisten? Nicht, dass ich auf diese sexuelle Praktik stehen würde – im Gegenteil. Ich finde, dass Fisten mit zu den abartigsten Zeugs gehört, was es gibt, und ich kann auch nicht verstehen, dass manche darauf abfahren, aber jedem das seine. Dennoch! Als Arbeitsloser würde ich mir keine Pampers leisten können. Ich konnte ja nicht mal dafür sorgen, dass mein Kühlschrank immer voll war. Rechnungen und Mahnungen stapelten sich, wie Bierflaschen im Flur eines Alkoholikers. Es ist nicht so, dass ich nicht arbeiten gehen wollte, denn das wollte ich liebend gern. Doch hier, in dieser kleinen Kaffstadt, fand man einfach nichts. Nicht einmal einen Nebenjob. Ein Auto besaß ich nicht und umziehen war nicht drin, denn die ARGE verbot es mir. Ein Teufelskreis. Manchmal fragte ich mich: Was macht das Leben für einen Sinn? Man wird geboren, leidet ein paar Jahrzehnte und stirbt wieder. Was danach kommt, weiß niemand. Ach, das Leben könnte so schön sein, wären da nicht die vielen wenn.
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